Wie du eine „gesunde“ Spiritualität entwickelst statt abzuheben

Hast du schon mal was von „Spiritual Bypassing“ gehört? Ich habe den Begriff letztens erst kennengelernt. Er beschreibt etwas, was mir schon oft bei Menschen aus der sogenannten spirituellen Szene begegnet ist und was ich immer wieder erlebe.
Viele dieser Menschen führen ein ziemlich spirituelles Leben, machen Yoga, hören sich viele Podcasts und Videos für ein bewussteres Leben an, lesen Bücher darüber, meditieren regelmäßig, besuchen Seminare und Veranstaltungen, die sich mit dem Weg zur Erleuchtung beschäftigen und was es da sonst noch so alles an spirituellen Beschäftigungen gibt.
Immer von dem Wunsch getrieben, ein besseres Leben zu erlangen, nicht mehr zu leiden, seine Probleme besser in den Griff zu kriegen, endlich gelassener den Dingen des Lebens zu begegnen und inneres Glück zu erfahren. Und das funktioniert auch – zumindest für eine Weile fühlt man sich nach einer solchen Erfahrung besser, lichtvoller, heiler und erlöster.

 

Aber für wie lange?

Denn da sind immer wieder diese ollen Störfaktoren, die dich im  Alltag doch wieder einholen: Schwierigkeiten in deinen Beziehungen, zum Partner oder deiner Familie, körperliche Probleme oder Krankheiten, Stress im Beruf mit Mitarbeitern und Chefs, das Gefühl, immer wieder vor den gleichen Herausforderungen zu stehen und dich im Kreis zu drehen, Ängste oder Hilflosigkeit und die bohrenden Gedanken, es trotz aller spiritueller Anstrengung doch irgendwie nicht zu schaffen, so zu leben, wie du es dir wünschst.
Sehr viele Klienten, die mir begegnen, berichten mir, was sie schon alles gemacht haben an spirituellen Praktiken, wie sehr sie schon an sich „gearbeitet“ haben, wie lange sie schon Entspannungstechniken anwenden und wieviel sie doch eigentlich schon wissen. Und trotzdem tauchen die sie belastenden Probleme immer wieder auf und wollen einfach nicht verschwinden – ja, werden sogar oft noch stärker.

 

Vermeiden heilt nicht

Der Begriff „Spiritual Bypassing“ wurde in den 80er Jahren von John Welwood, einem buddhistischen Lehrer und Psychotherapeuten eingeführt und bezeichnet lt. Wikipedia „die Tendenz, spirituelle Ideen und Praktiken zu nutzen, um ungelöste emotionale Probleme, psychologische Wunden und unvollendete Entwicklungsaufgaben zu umgehen oder zu vermeiden.“
Genauso erlebe ich es oft bei Menschen, die sich nicht trauen, sich wirklich ihren Problemen und Gefühlen zu stellen, weil es vielleicht schmerzhaft sein könnte und sie zu spüren und sozusagen an der Wurzel zu packen. Lieber gehen sie den – vermeintlich – einfacheren Bypass-Weg und versuchen, ihre  unangenehmen Themen meditierend im Licht aufzulösen.

 

Veränderung geht nur mit Fühlen

Die Wurzel und die Lösung aller deiner Probleme liegen in den Erfahrungen deiner Kindheit und ich bin immer wieder kolossal erstaunt, wie wenig dieses Wissen unter Therapeuten und spirituell arbeitenden Lehrern oder Anwendern verbreitet ist oder einfach – bypassmäßig – umgangen wird.
Und wieviele spirituelle, weichgespülte Softmethoden dir versprechen, dich ganz einfach und vor allem schnell auf die rosarote Wolke zu verfrachten, statt dir eine ehrliche, wahrhaftige, authentische und klare Anleitung zu geben, wie du dich wirklich deinen Themen stellen kannst, wie du Verletzlichkeit zulassen kannst und dir erlauben kannst, deine Gefühle – negative wie positive – wirklich zu spüren.
Die Angst davor, dass da „was hochkommen“ könnte und wir damit die Büchse der Pandora öffnen und uns etwas überschwemmt, was wir nicht mehr kontrollieren können, sitzt tief und ist nachvollziehbar. Denn wir wollen diese alten Seelenschmerzen nicht mehr spüren, weil sie uns damals, als wir noch klein und wehrlos waren, fast umgebracht hätten.

Wenn wir aber all das von uns Ungeliebte, das, was wir so gerne an uns und aus unserem Leben weg hätten, annehmen und all den doofen Gefühlen erlauben, dazusein und sie als etwas begreifen, was schon lange in uns ist und eben auch zu uns gehört, können aus Wunden Wunder werden und die rosarote Wolke kommt von ganz alleine angeschwebt.

 

Heilend mit Gefühlen umgehen

Wenn du wirklich ein tiefes, entspanntes, spirituelles Leben führen willst, gibt es keinen Bypass, der dich um das Anschauen deiner Lebensthemen, deiner Kindheitserfahrungen und allem, was dazugehört, herumführt. Und ja, es ist oft ein schmerzhafter und langer Weg und manchmal brauchen wir auch Unterstützung, um zu lernen und zu erfahren, wie wir mit den eigenen Gefühlen auf heilende Weise umgehen können und uns nicht in ihnen zu verlieren.
Die Belohnung, die hinter einem solch erlösenden, immer wieder gelebten Prozess wartet, ist die innere Erkenntnis, dass du genau richtig bist so wie du bist und das Gefühl tiefer Verbundenheit mit dir selbst und anderen. Und genau das bedeutet Spiritualität.

 

Meditation ist Selbsterkenntnis

Ich gebe selbst Meditations-Seminare und ermuntere meine Klienten dazu, eine regelmäßige Meditations – und Achtsamkeitspraxis für sich zu entwickeln. Doch nicht, um in die baldige Erleuchtung abzuheben, sondern als spannende Erfahrung, in der sie sich und ihre Gefühle wie Wut, Ärger, Trauer und Ängste als einen Teil von sich selbst bewusst spüren und ihn so annehmen und lassen können, wie er sich zeigt. Nur durch diesen zutiefst erlaubende Prozess lösen sich innere Blockaden und du erfährst mehr Gelassenheit und Mitgefühl dir selbst und anderen gegenüber. Und erst dann ist der Weg frei, auch das Göttliche, das Machtvolle, das Kostbare und das Kraftvolle sowie die Verbindung zu deinem wirklichen Selbst wahrzunehmen und zu erfahren. Und diese Erfahrung verändert  dein Leben unmittelbar zum Guten.

 

2 Kommentare zu: “Wie du eine „gesunde“ Spiritualität entwickelst statt abzuheben”

  1. Erika

    Liebe Eva,
    Deinen Worten Stimme ich voll inhaltlich zu. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Heilung von alten Wunden nur gibt, wenn man sie nochmals durchführt…. nicht angenehm und bequem, aber wirkungsvoll.
    Ich wünsche Dir alles Gute und einen angenehmen Aufenthalt in Vis. Erika

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