Wenn du schon bei einem unserer Seminare in Kroatien auf der Insel Vis warst, kennst du diesen Platz, an dem ich vorhin gerade gesessen habe. Unser Seminarplatz mit seiner magischen Energie unter einem hohen, alten Lebensbaum. Gestern haben wir das Seminar „Die Reise zu Dir“, das hier Ende Mai stattfinden sollte, abgesagt. Nach schon 5 weiteren Absagen der Seminare von Roman und mir ist mir das jetzt wirklich ans Herz gegangen und ich musste richtig weinen. Die Seminare hier auf unserer Herzensinsel, die wir beide zusammen mit so viel Liebe gestalten, gehören auch für uns zu den schönsten und intensivsten Zeiten im Jahr und es hat mich so traurig gemacht, dass wir diesen wundervollen Platz jetzt nicht mit anderen teilen können.
Wir sind seit 7 Wochen auf Vis, was nicht so geplant war. Doch da in der Zwischenzeit alle 3 Bereiche unseres kleinen Unternehmens, unser Laden, unsere Seminare und unsere Gästevermietungen bis auf unbestimmte Zeit stillstehen, haben wir uns entschlossen, die weitere Entwicklung hier auf Vis abzuwarten. Und endlich finde ich auch Worte für das, was sich gerade in mir bewegt. Das Geschehen der letzten Wochen hat mich im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos gemacht – und das will bei mir wirklich etwas heißen. Ich habe lange Zeit gebraucht, um aus der ganzen Flut dessen, was gerade über uns hereinbricht, für mich die Essenz, also das für mich wesentliche, lebensnotwendige zu finden. Und mir sind dabei so einige Dinge bewusst geworden, an denen ich dich hier teilhaben lassen möchte.
Zahlen, Zahlen, Zahlen…
Auch auf Vis sind wir von den zur Zeit überall geltenden Regelungen betroffen. Die Insel ist vollkommen abgeriegelt, aber natürlich verfolgen wir online die aktuellen Entwicklungen und Zahlen.
Mein Verhältnis zu Zahlen war schon immer ein schwieriges. In der Schule schrammte ich in Mathe immer knapp an der 5 vorbei und bis heute kann ich mir außer unserer eigenen Telefonnummer und der unseres Ladens keine einzige Zahlenkombination merken. Weder mein Autokennzeichen, meine Kontonummer, die Telefonnummer meines Mannes oder meiner Kinder, noch irgendwelche Passwörter bleiben in meinem Kopf hängen. Selbst bei meiner eigenen Telefonnummer komme ich ins Grübeln, wenn ich danach gefragt werde oder sie irgendwo aufschreiben soll. Kopfrechnen macht mir einen Knoten im Gehirn und irgendwie geht mir alles, was mit Zahlen zu tun hat, immer viel zu schnell.
Zum Glück haben wir ja heutzutage alle wichtigen Nummern irgendwo im Handy oder Laptop gespeichert und es ist nicht mehr notwendig, sich Zahlen zu merken. Und bei der riesigen Flut von Zahlen und Nummern, mit denen wir heute alle tagtäglich umgehen, wäre auch ein mathematisch besser aufgestelltes Gehirn wie meins wahrscheinlich hoffnungslos damit überfordert. Zum Glück – und dafür bin ich wirklich sehr dankbar – übernimmt mein Mann hauptsächlich alles, was in meinem sonstigen Leben mit Rechnungen, Buchführung oder anderem Zahlenkram zu tun hat.
Ich liebe gute Worte
Ich bin ein Mensch der Worte, ich liebe es, zu schreiben, mich durch Worte auszudrücken, mit ihnen zu spielen, mit Worten Gefühle zu erzeugen oder zu transportieren. Das am meisten geäußerte Feedback von Menschen auf meine Artikel und Posts ist: „Du hast mir aus der Seele gesprochen.“ Und das passiert deshalb, weil meine Seele und mein Herz beim Schreiben dabei sind. Genauso wie bei meiner therapeutischen Arbeit und Begegnung mit Menschen, bei denen auch Worte eine große Rolle spielen, sowohl beim zuhören, was mir der andere erzählt, als auch bei dem, wie ich ihn mit meinen Worten berühre – immer sind sie mit meinem Herzen, mit meiner Intuition und meinem Fühlen verbunden.
Schreiben, Sprechen, Worte, dass sich mitteilen und zuhören, gehört für mich eher in den Bereich weiblicher Energie, Zahlen und den Kopf, der ja dabei immer beteiligt ist, verbinde ich eher mit männlicher Energie. In den letzten 20 Jahren sind mit rasanter Beschleunigung in unserem täglichen Leben immer mehr Worte durch Zahlen ersetzt worden und das macht mir wirklich oft zu schaffen.
Überall dort, wo früher noch ein ansprechbarer Mensch an irgendeinem Schalter saß, mit dem ich sprechen konnte und den ich auch mal was fragen konnte, steht heute nur noch ein Automat, in den ich Nummern oder eine Karte einstecken muss. Sei es bei der Bank ( ja, ich bin auch eine der letzten Menschen, der noch kein Onlinebanking hat und betrete noch persönlich das Gebäude meiner Bank), am Flughafen, beim Bahnfahren oder beim Einkaufen. Selbst die Warteschlange am Ticketschalter der Fähre hier auf Vis, wo die Uhren ja noch etwas langsamer gehen und wo man beim Warten so ganz nebenbei mal ein paar Worte mit seinem Vorder- oder Hintermann gewechselt hat, wird es wohl bald nicht mehr geben, denn immer mehr Leute kaufen ihr Ticket jetzt online und tippen auch dabei wortlos viele Zahlen in ihr Handy ein.
Was Zahlen in uns bewirken
Seitdem ein kleines Virus das Leben der Menschen auf der ganzen Welt beherrscht, werden wir alle tagtäglich, stündlich und minütlich mit Zahlen von seine Reise über die Erde nur so bombardiert. Jede Ansprache, jeder Bericht, von welcher Ecke oder Interessensgruppe er auch kommen mag, flutet uns mit „aktuellen“ Zahlen zu allen möglichen und unmöglichen Daten, deren Richtigkeit von vielen durchaus auch angezweifelt wird.
Der ganzen überwältigenden Zahlenflut können wir praktisch nur noch entkommen, wenn wir komplett auf jeglichen Medienkonsum verzichten würden – und selbst dann erreichen sie uns in Gesprächen oder im täglichen Leben.
Zahlen sind wie Waffen und haben Macht. Besonders in Verbindung mit visuellen Eindrücken wie Bildern, die sich immer wiederholen, setzten sie sich in unserem Kopf fest und lösen dort eine Wirkungskette und Verknüpfungen aus, die unseren Körper und unsere Psyche stark beeinflussen. Und das kann in beide Richtungen geschehen, in die positive oder in die negative. Wenn die Medien zum Beispiel jetzt mehr Bilder von der gerade so wunderschönen Natur zeigen würden, mehr von den vielen guten Dingen, die sich auch gerade ereignen, berichten würden, verbunden mit den Zahlen der Menschen, die überhaupt nicht infiziert sind und sich vielleicht auch gar nie infizieren werden, oder von denen, an denen das Virus fast spurlos vorübergegangen ist und die nun immun sind – und das wären mit Abstand die allerhöchsten Zahlen – dann würde sich auch in vielen Menschen ein anderes, beruhigenderes Gefühl entwickeln als die Angst, Ohnmacht und das Ausgeliefertsein, die zur Zeit so massiv ausgelöst werden.
Eine gefühlt andere Botschaft
Da ich ja, wie eingangs erwähnt, ein schwieriges Verhältnis zu Zahlen habe, habe ich mir mal vorgestellt, wie wir die ganze Situation erleben würden, wenn gar keine Zahlen darin vorkommen würden. Dann hätten wir vielleicht Nachrichten gehört wie:
„Es ist ein neues Virus aufgetreten, dass ähnliche Symptome wie ein Grippevirus auslöst. Es verbreitet sich schnell, aber in der Regel wird unser Immunsystem sehr gut damit fertig. Gefährdet sind hauptsächlich ältere Menschen mit starken Vorerkrankungen. Die allermeisten Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben, sind wieder gesund und damit auch immun. Achten sie in dieser Infektionszeit gut auf sich, besonders auf die älteren und kranken Menschen in ihrem Umfeld. Stärken sie ihr Immunsystem, ernähren sie sich gesund und achten sie auf die bekannten, einfachen Hygieneregeln. Seien sie positiv gestimmt und bleiben sie zuversichtlich.“
Selbst wenn die reale Situation genau die gleiche wäre wie jetzt, hätten solche Nachrichten eine andere Wirkung in uns. Sie würden Zuversicht, Hoffnung, Sicherheit und Vertrauen auslösen. Diese Werte, die gerade so stark ins Schwanken geraten und sich fast in ihr Gegenteil verkehren, brauchen wir Menschen aber. Ohne sie können wir nicht überleben. Wo finden wir sie also in diesen Zeiten, wo uns gefühlt der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wo so viel bisher vertrautes auf einmal nicht mehr da ist, wir vollkommen verunsichert sind und Überlebensangst haben?
Finde deine eigene Wahrheit
Da von Außen zur Zeit wenig beruhigende Worte kommen oder sie in der Flut der übermächtigen Zahlen untergehen, sind wir selber jetzt in dieser für viele so anstengenden Zeit aufgefordert, gut in uns hineinzuspüren, genau zu erforschen, was uns gut tut und was nicht, was wir in uns hineinlassen wollen und was nicht, was unsere Wahrheit ist und was nicht, was und wem wir glauben wollen oder nicht.
Es gibt jetzt so viel zu erfahren und zu lernen für jede und jeden von uns.
Nimm bewusst wahr, wenn die Angst in dir hochsteigt, welche Gedanken sie ausgelöst haben. Es ist im tiefsten Kern immer die Angst vor dem Tod, vor Verlassenheit und Ausgeliefert sein.
Lasse nicht das Geschehen auf dich wirken, sondern wirke mit dem, wie du dich innerlich ausrichtest, auf das Geschehen ein.
Gehe nicht nur mit angestrengten Durchhalteparolen durch diese Zeit, sondern erlaube dir gerade jetzt, Mensch zu sein mit all deinen Schwächen und Ängsten und Unperfektheiten. Wir alle erleben zur Zeit etwas, was wir noch nie erlebt haben und das uns vor große psychische Herausforderungen stellt.
Ich war auch die ersten Wochen wie paralysiert und als ich mir jetzt erlaubt habe, meine Traurigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht zu spüren und ich wirklich eine ganze Weile weinen musste, hat sich sehr viel Anspannung in mir gelöst.
Kämpfe nicht gegen diese Gefühle an, sie werden jetzt bei vielen von uns deutlicher spürbar und warten auf dein liebevolles Mitgefühl, damit sie heilen können.
Was das Leben mich gerade lehrt
Diese Zeit schenkt uns allen eine große Chance, uns auf das Wesentliche im Leben auszurichten. Ich bin seit 7 Wochen mit Roman fast alleine auf unserem Land hier auf Vis, wir verdienen bis auf unbestimmte Zeit sogut wie kein Geld mehr und wissen noch nicht, wie es geschäftlich bei uns weitergeht. Und wir machen gerade so intensive Erfahrungen auf vielen Ebenen wie noch nie:
Wirklich im Hier und Jetzt zu leben, weil die Zukunft nicht mehr planbar ist und zu erkennen, dass sie das im Grunde noch nie war.
Zu erfahren, wie wenig Äußeres wir zu einem guten, erfüllten Leben wirklich brauchen.
Zu spüren, wieviel innere Entwicklung wir schon gemacht haben, die uns jetzt immer wieder Vertrauen, Ruhe und Gelassenheit schenkt in einer Zeit, in der fast alle äußeren Sicherheiten für uns wegbrechen.
Die Verbindung zur Natur und Mutter Erde so stark wir nie zu spüren und wahrzunehmen, dass sie uns trägt, uns Nahrung schenkt und wir untrennbar mit ihr verbunden sind.
Uns selbst und uns gegenseitig noch mehr in der Tiefe als Mann und Frau zu erfahren und zu erkennen.
Das Gefühl, im Moment unendlich viel Zeit zu haben, einfach in den Tag hineinzuleben und ihn nicht mit Plänen oder Aktivitäten füllen zu müssen.
Das ist wirklich neu.
Und so gesehen ist es einfach ein faszinierendes Abenteuer.
Liebe Eva,
seit einiger Zeit schon lese ich sehr gerne deinen Blog und habe mir immer hier Hilfe geholt, wenn mich Angst oder Sorgen nicht zur Ruhe kommen lassen wollten.
Und auf deine mutmachenden Worte zur aktuellen Krise habe ich gehofft und gewartet 🙂
Denn auch mir geht es so, dass ich häufig die guten Nachrichten in dieser Krise vermisse, dass ich manchmal Zahlen über Zahlen studiere, um am Ende doch nichts zu wissen. Aber andererseits verstehe ich auch ein bisschen, warum man über die negativen Dinge dieser Krise schreiben muss. Denn – ganz ehrlich – würde nur davon geschrieben, dass die allermeisten Menschen diese Krankheit überstehen werden wie eine Grippe, vielleicht sogar einfacher, würden nur wenige verstehen, warum man sich zur Zeit so einschränken muss. Macht man ja bei keiner Grippewelle.
Aber ich sehe auch die Notwendigkeit, die Menschen, die besonders gefährdet sind, durch den Shut down zu schützen, die Gesundheitssysteme nicht bis über ihre Grenzen zu belasten und die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten. Würde man darüber nachdenken, wenn man es nicht durch die negativen Nachrichten vermittelt bekäme? Oder würden wir es in die Kategorie „Ist mir egal, betrifft eh nur die anderen“ schieben?
Vieles macht auch mir Angst in dieser Krise, manches verstehe ich nicht und manches macht mich traurig und wütend. Aber ich glaube, die Maßnahmen sind notwendig (und daher auch ein paar schlechte Nachrichten und Zahlen).
Andererseits findet man auch die mutmachenden, guten Nachrichten (man muss vielleicht ein bisschen länger suchen), sieht man den Zusammenhalt und die Solidarität und das baut mich auf und hilft mir durchhalten. Dazu zählen auch deine Worte jetzt :-), für die ich dir hier auch einfach einmal Danke sagen möchte (und für all die vielen davor).
Ja, was dieses kleine Virus mit uns macht, mit unserem bisherigen Leben und dem zukünftigen, ist schon einschneidend und es ist eine merkwürdige Zeit (im wahrsten Sinne des Wortes), die aber auch so viel Positives hervorbringt, dass ich mich von den schlechten Nachrichten nicht unterkriegen lassen will. Das wünsche ich auch jedem anderen.
Ganz liebe Grüße
Sonja